§ Kommentar
Einfügen nach dem Maß der baulichen Nutzung: Für Beurteilung der Maßfaktoren vergleichbare Vorbilder hinzuziehen!
Zu BVerwG, Urt. v. 08.12.2016 – 4 C 7.15 -.
15. März 2017
Das BVerwG hat sich mit der Frage befasst, inwieweit die Eigenart der näheren Umgebung zur Bestimmung des Einfügens nach dem Maß der baulichen Nutzung zu bestimmen ist. Demnach können Baulichkeiten auch dann die Eigenart der näheren Umgebung präsentieren, wenn sie keinen im Zusammenhang bebauten Ortsteil bilden. Nach dem Maß der baulichen Nutzung fügt sich ein Vorhaben dann in die Eigenart der näheren Umgebung ein, wenn die Referenzobjekte bei einer wertenden Gesamtbetrachtung von Maßfaktoren (Grundfläche, Geschosszahl, Höhe, Verhältnis zur Freifläche bei offener Bebauung) vergleichbar sind. Die Übereinstimmung in lediglich einem der Maßfaktoren genügt hingegen nicht.
Dem Rechtsstreit lag zu Grunde, inwieweit die großvolumige Kubatur eines Hofes als Maßstab für die Beurteilung im Rahmen des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB dienen kann. Vor dem VG München und schließlich vor dem VGH München nahm der Kläger die Beklagte auf Erteilung einer Baugenehmigung in Anspruch. Er ist Eigentümer eines Grundstücks im unbeplanten Innenbereich mit einem ehemaligen Einfirsthof – bestehend aus einem Wohntrakt und einem Stalltrakt, der u. a. als Lager- und Büroraum genutzt wird. Das Dach des Stalltraktes beabsichtigt der Kläger abzutragen, ein mit dem Obergeschoss des Wohntrakts höhengleiches Obergeschoss aufzusetzen und schließlich das Dach mit im Ergebnis verringerter Firsthöhe wiederherzustellen. In Ober- und Dachgeschoss sollen Wohnungen und Büroräume untergebracht werden. Dies hatte das zuständige Landratsamt mit der Begründung abgelehnt, dass das Vorhaben hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung nicht in die nähere Umgebung passe. Seiner Auffassung gebe es in der Umgebung kein Vorbild für einen Wohnbaukörper mit durchgängiger Wohnnutzung im Ober- und Dachgeschoss. Die seiner Auffassung überdimensionale Wirkung werde u. a. auch durch sechs geplante Dachgauben verstärkt, während die umliegende Bebauung lediglich zweigeschossige Baukörper mit ruhigen Dachflächen aufweist. Die Klage war bereits in den Vorinstanzen erfolgreich, da sich das Vorhaben nicht nur nach Art, Bauweise und zu überbauender Grundstücksfläche in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, sondern – so das VG und der VGH – auch nach dem Maß der baulichen Nutzung. Mit der Revision erstrebt der Beklagte die Abweisung der Klage, während der Kläger das angegriffene Urteil verteidigte. Das Urteil des VGH München wurde durch das BVerwG aufgehoben.
Unstrittig war, dass sich das Vorhaben als Bestandteil eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils und nach der Art der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Strittig war hingegen, ob es sich nach dem Maß der baulichen Nutzung in nähere Umgebung einfügt.
Der Beklagte berief sich für seine gegenteilige Auffassung u. a. auf das Urteil des BVerwG vom 30. Juni 2015 – 4 C 5.14 -, demnach Baulichkeiten – wie der Stalltrakt des ehemaligen Einfirsthofes, die nur vorübergehend genutzt werden, keine Bauten sind, die einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil bilden. Das Urteil verhält sich jedoch nur zu Anlagen, die eine der Hauptnutzung dienende Hilfsfunktion aufweisen und Nebenanlagen zu einer Hauptnutzung sind. Stalltrakte sind jedoch unselbständige Teile der Einfirsthöfe, demzufolge das BVerwG der Beklagten in diesem Punkt nicht gefolgt ist. Zudem befasste sich das aufgerufene Urteil allein mit dem Merkmal des im Zusammenhang bebauten Ortsteils und nicht mit der Eigenart der näheren Umgebung.
Für das Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung nach dem Maß der baulichen Nutzung sind als vorrangige Bezugsgrößen die Größe nach Grundfläche, Geschosszahl und Höhe, bei offener Bebauung zusätzlich auch das Verhältnis zur Freifläche heranzuziehen. Nach Grundfläche und Höhe war ein Einfügen im vorliegenden Fall gegeben. Es kommt bei der Prüfung, ob das Vorhaben sich auch seinem Maße nach einfügt, nicht mehr erneut auf seine Art an, nämlich welches Maß von anderen baulichen Anlagen gleicher Art bereits realisiert ist. Nicht beipflichten wollte das BVerwG hingegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass sich das Vorhaben nach der Geschosszahl in die nähere Umgebung einfügt, weil – so die Vorinstanz – sich in der Umgebung bereits ein dreigeschossiges Gebäude befindet. Der VGH ging davon aus, dass auch Gebäude mit derselben Geschosszahl und unabhängig von ihrer Grundfläche als Referenzobjekte in Betracht kommen. Das BVerwG hat jedoch deutlich gemacht, dass kumulierend auf die Maßstabsfaktoren abzustellen ist. Die Übereinstimmung in nur einem Maßstabsfaktor genügt hingegen nicht. Demzufolge hat der VGH die Sachlage jetzt weiter aufzuklären. Er muss feststellen, mit welcher Grundfläche das Referenzobjekt einen Vergleichsmaßstab bildet und ob die Grundfläche des Einfirsthofes dem entspricht.
Relevant ist das Urteil des BVerwG für die in der Praxis sehr häufig notwendige Beurteilung des Einfügens eines Vorhabens in die nähere Umgebung im unbeplanten Innenbereich. Bei der Beurteilung des Einfügens nach dem Maß der baulichen Nutzung können die Maßfaktoren nicht separat anhand verschiedener Referenzobjekte zur Beurteilung hinzugezogen werden. Vielmehr sind für die kumulative Beurteilung der einzelnen Faktoren (!) zur Klärung des Einfügens nach dem Maß der baulichen Nutzung ein oder mehrere vergleichbare Vorbilder in Gänze hinzuzuziehen.
Urteil:
BVerwG, Urt. v. 08.12.2016 – 4 C 7.15 -, JurionRS 2016, 31880.
Entscheidungen der Vorinstanzen:
VG München, Urt. v. 10.04.2014 – M 11 K 13.3830 -, openJur 2015, 4712.
VGH München, Urt. v. 08.10.2015 – 1 BV 14.1795 -, http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2015-N-56147.
Weitere Quellen
Steiner, Elisabeth: BVerwG zur maßstabsprägenden Wirkung aufgelassener Hofstellen im Innenbereich. Online verfügbar: https://bayrvr.de/2017/03/15/bverwg-zur-massstabspraegenden-wirkung-aufgelassener-hofstellen-im-innenbereich/, zuletzt abgerufen am 15.03.2017.