§ Kommentar
Wirkt sich die außerhalb des Einzelhandelsbetriebs liegende überdachte Fläche für Einkaufswagen auf die Verkaufsfläche aus?
Zu BVerwG, Urt. v. 09.11.2016 – 4 C 1.16 -.
30. März 2017
Mit seinem Urteil vom 24. November 2005 hat das Bundesverwaltungsgericht in der Vergangenheit bereits einige wesentliche Fragen zur Ermittlung der Verkaufsfläche der Betriebe im standortgebundenen Einzelhandel geklärt. Im nun vorliegenden Urteil hat es zudem entschieden, dass überdachte Flächen außerhalb des Gebäudes eines Einzelhandelsbetriebes, die dem Abstellen von Einkaufswagen dienen, nicht Teil der Verkaufsfläche sind.
Geklagt hatte die Eigentümerin eines Grundstücks, auf dem sie einen Lebensmittelmarkt mit 799,44 m² Verkaufsfläche um 220 m² erweitern wollte. Neben dem Gebäude befindet sich eine genehmigte 33 m² große und überdachte Fläche zum Abstellen von Einkaufswagen. Strittig war, ob diese Fläche zur Verkaufsfläche hinzuzuzählen sei und somit bereits ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb i. S. v. § 11 Abs. 3 BauNVO vorliegt. Der Bauantrag zur Erweiterung war abgelehnt worden, da die Behörde dies verneinte und ein faktisches Mischgebiet annahm. Eine darauffolgende Verpflichtungsklage blieb erfolglos. Hiergegen ging die Eigentümerin in Revision.
Grundsätzlich richtet sich die planungsrechtliche Zulässigkeit einer solchen Erweiterung im unbeplanten Innenbereich allein danach, ob das Vorhaben im vorliegenden faktischen Baugebiet gemäß BauNVO zulässig wäre. In einem Mischgebiet sind großflächige Einzelhandelsbetriebe nicht zulässig. Von der Beantwortung der Frage, ob die Fläche zum Abstellen der Einkaufswagen zur Verkaufsfläche hinzuzuzählen ist, ist im vorliegenden Fall somit die sich daran anschließende Frage abhängig, ob es sich um ein Mischgebiet handelt (durch das Vorliegen ausschließlich nicht großflächiger Einzelhandelsbetriebe) oder ob die unmittelbare Umgebung bereits durch großflächigen Einzelhandel vorgeprägt ist (was bei der Hinzurechnung der Abstellfläche zur Verkaufsfläche der Fall wäre).
Gemäß dem Urteil des BVerwG tritt die außerhalb des Gebäudes vorhandene überdachte Fläche für das Abstellen der Einkaufswagen jedoch nicht zur Verkaufsfläche hinzu. Das Gericht beruft sich hierbei auf das Urteil vom 24. November 2005 – 4 C 10.04 -, demnach die Verkaufsfläche ein Maß ist, um die Attraktivität eines Betriebs typisierend zu erfassen. Zur Aufenthaltsqualität trage das Innere des Gebäudes deutlicher stärker bei, als das Äußere. Die Wettbewerbsfähigkeit wird weniger vom Weg zum Gebäude, als von seinem vom Käufer wahrgenommenen Inneren beeinflusst. Ferner hat das Gericht ausgeführt, dass Freiflächen zwar zur Attraktivität beitragen können, insbesondere wenn sie in erheblichem zeitlichen Umfang unmittelbar dem Verkauf dienen, also auf ihnen Waren angeboten oder präsentiert werden. Für Flächen zum Abstellen von Einkaufswagen gilt dies aber nicht, da hier das Fehlen einer räumlichen Zuordnung zum Inneren des Gebäudes schwerer wiegt als die ggf. bestehende eindeutige Zuordnung der Fläche zum Verkaufsvorgang. Zusammengefasst beginnt die Grenze der Verkaufsfläche dort, wo der Kunde das Gebäude betritt.
Das BVerwG hat mit dem geschilderten Urteil deutlich gemacht, dass die Verkaufsfläche am bzw. im Gebäude „beginnt“. Nicht zu unterschätzen ist in diesem Zusammenhang, dass im Zuge der Heterogenisierung des Einkaufsverhaltens und des demografischen Wandels die Beurteilung der Attraktivität von Einkaufsstätten veränderten Parametern unterworfen wird. Dies zeigt sich bereits in der Realisierung breiterer Gänge zwischen den Verkaufsregalen, die von den Kunden scheinbar nachgefragt werden. Insofern stellt das Urteil aus Sicht des Einzelhandels zwar grundsätzlich eine positive Nachricht dar, da mit dem Urteil vom 24. November 2005 die bis dahin vielerorts bestehende Praxis, dass lediglich der im engeren Sinne dem Verkauf der Waren dienende Bereich der Verkaufsfläche zugerechnet wird, bereits durch das Gericht gekippt worden war. Demnach sind auch vom Kunden nicht betretbare Thekenbereiche, Kassenvorräume einschließlich der Bereiche zum Einpacken der Ware und zur Entsorgung des Verpackungsmaterials sowie ein Windfang zur Verkaufsfläche hinzuzuzählen. Ist man in der Folge ggf. nun fälschlicherweise davon ausgegangen, dass außerhalb des Gebäudes liegende überdachte Flächen für Einkaufswagen zur Verkaufsfläche zuzurechnen sind, so dürfte nun klar sein, dass eine Errichtung oder Erweiterung solcher Flächen keine Auswirkungen auf die Verkaufsflächenberechnung haben kann. Die Dimensionierung dieser Flächen kann damit auch nicht (mehr) über die Verkaufsflächenkontingentierung gesteuert werden, sondern hat auf anderem Wege durch bauleitplanerische Festsetzungen bzw. im Rahmen der Erteilung der Baugenehmigung zu erfolgen.
Urteil:
BVerwG, Urteil vom 09.11.2016 – 4 C 1.16 -, ECLI:DE:BVerwG:2016:091116U4C1.16.0.
Entscheidung der Vorinstanz:
VGH Mannheim, Urt. v. 01.12.2015 – 8 S 210/13 -, openJur 2016, 2651.
Weitere Urteile:
BVerwG, Urteil vom 24.11.2005 – 4 C 10.04 -, JurionRS 2005, 28759.