„Sondergebiet kleinflächiger Einzelhandel“ und Setzung auf den Bestand

§ Kommentar


„Sondergebiet kleinflächiger Einzelhandel“ und Setzung auf den Bestand

Zu OVG NRW, Urteil vom 05.12.2017 -10 D 84/15.NE -.

1. Februar 2018

 

Kann in einem Bebauungsplan auf der Grundlage von § 11 BauNVO auch ein Sondergebiet Einzelhandel festgesetzt werden, in dem nur nicht großflächige Betriebe zulässig sind? Und darf hierbei auf einem Grundstück die Zulässigkeit auf den Bestand eines bestehenden Einzelhandelsbetriebs gesetzt werden, ohne weitere Nutzungen zuzulassen?

Die Antragstellerin strengte eine Normenkontrolle eines Bebauungsplanes an, in dem ein „Sondergebiet kleinflächiger Lebensmittelmarkt M.- Straße“ festgesetzt ist. Hierin sind nicht großflächige Einzelhandelsbetriebe mit nahversorgungsrelevanten Hauptsortimenten sowie Randsortimente je Betrieb bis zu einer Größe von insgesamt 10 % der Verkaufsfläche festgesetzt. Sie betreibt im Plangebiet, das lediglich aus einem Grundstück besteht, einen Lebensmittel-Discountmarkt und klagte vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen auf die Erteilung einer Baugenehmigung. Sie beabsichtigte die Vergrößerung der Verkaufsfläche des bestehenden Marktes. Der Plan wurde aufgestellt, da das Erweiterungsvorhaben unerwünscht war und Zweifel bestanden, ob die bisherige Planung (Festsetzung des Plangebietes als Mischgebiet) rechtmäßig war.

Der Senat ließ in seiner Entscheidung offen, ob der Bebauungsplan bereits unwirksam ist, weil die originale Planurkunde nicht auffindbar ist. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht bislang die Auffassung vertreten, dass der Verlust der Planurkunde für sich gesehen noch nicht zur Ungültigkeit führt (BVerwG, Beschluss vom 1. April 1997 – 4 B 206.96 –, juris). Bei Bebauungsplänen muss auch nur der jeweilige Satzungsbeschluss bekannt gemacht werden. Dazu muss das Original der Planurkunde allerdings auch dauerhaft zur Einsicht bereitgehalten werden.

Der Plan weist dem Urteil zufolge jedenfalls materielle Mängel auf. So ist die Festsetzung des Sondergebietes hier weder für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB erforderlich. Noch ist sie von § 11 BauNVO gedeckt. Die Festsetzung eines Sondergebiets scheidet aus, wenn die planerische Zielsetzung durch die Festsetzung eines Baugebiets nach §§ 2 bis 10 BauNVO verwirklicht werden kann und dies ggf. in Kombination mit Festsetzungen auf der Grundlage von § 1 Abs. 5 und 9 BauNVO erfolgt. Das Plangebiet eines Sondergebiets nach § 11 BauNVO muss sich bei einer wertenden Gesamtbetrachtung von dem typischen Erscheinungsbild eines Baugebietes nach den §§ 2 bis 10 BauNVO abheben. Auch der Zweck des Sondergebietes als Standortsicherung für den zur Nahversorgung dienenden nicht großflächigen Einzelhandelsbetrieb kann die Zulässigkeit der gewählten Gebietsfestsetzung nicht begründen. Denn durch das beliebige Herauslösen einzelner Grundstücke aus dem Planungsverbund und der Festsetzung kleiner bis kleinster Sondergebiete mit unterschiedlichsten Nutzungseinschränkungen, die lediglich eine konkrete bauliche Nutzung festlegen, werden gemeindliche punktuelle Planungsvorstellungen durchgesetzt , die – so das Gericht – „nahezu willkürlich und losgelöst von den ausgewogenen und aufeinander abgestimmten Baugebietstypen mit ihren unterschiedlichen Schutz- und Nutzungsansprüchen“ sind bzw. sein können (OVG NRW, Urteil vom 05.12.2017 -10 D 84/15.NE -). Durch die Reduzierung auf nur eine Nutzungsart würde im Rahmen der Angebotsplanung eine bestimmte Nutzung von Grundstücken quasi erzwungen werden, während bei der Überplanung des Bestandes eine unzulässige Negativplanung im Gewand einer positiven Festsetzung erfolgt, gerade wenn der Grundstückseigentümer eine Nutzungsänderung beabsichtigt.

Der Bebauungsplan ist zudem wegen eines Verstoßes gegen § 1 Abs. 7 BauGB unwirksam, denn die Gemeinde hat die durch Art. 14 GG geschützten Interessen der Antragstellerin nicht fehlerfrei abgewogen. Das Nutzungsspektrum für das Grundstück ist auf ausschließlich einen beziehungsweise mehrere nicht großflächige Einzelhandelsbetriebe beschränkt worden. Dadurch wurde der vorhandene Einzelhandelsbetrieb auf seinen jetzigen Bestand festgesetzt. Der bisherige Bebauungsplan setzte jedoch ein Mischgebiet fest und hielt damit auch weitere Nutzungsoptionen offen. Zwar darf durch einen Bebauungsplan die bauliche Nutzbarkeit von Grundstücken verändert bzw. die privaten Nutzungsmöglichkeiten eingeschränkt oder aufgehoben werden. Hierzu müssen jedoch hinreichend gewichtige städtebaulich beachtliche Allgemeinbelange vorliegen, die umso gewichtiger sein müssen, je stärker die Befugnisse des Eigentümers eingeschränkt werden. Denn das durch Art. 14 GG gewährleistete Eigentumsrecht ist im Rahmen der Bauleitplanung in hervorgehobener Weise zu berücksichtigen. Der Plangeber hat die Nachteile einer Planung für die Planunterworfenen zu berücksichtigen.

Die vorliegende Abwägung beschäftigt sich jedoch im Wesentlichen nur mit den Erweiterungsabsichten der Antragstellerin (und der Verhinderung der Erweiterung), dem Zentrengefüge in der Stadt sowie der Bedeutung des bestehenden Marktes für die Nahversorgung. Die erforderliche Bandbreite möglicher Nutzungen in einem festgesetzten Baugebiet stehen der Antragstellerin allerdings nicht mehr zur Verfügung. Gleichzeitig wies das Gericht darauf hin, dass der in der Praxis übliche vollständige oder teilweise Ausschluss von verschiedenen Formen des Einzelhandels in Misch- oder Gewerbegebieten hingegen regelmäßig noch eine Bandbreite möglicher Einzelhandelsnutzungen und/oder andere Nutzungsarten verbleiben lässt. Der vorliegende Bebauungsplan legt jedoch nur eine einzige Nutzungsart fest. Eine derartige Eingrenzung der Eigentümerbefugnisse ist nicht – wie die Gemeinde annahm – entschädigungslos zulässig, weil in keine ausgeübten Nutzungen eingegriffen wird. Zudem hatte die Antragstellerin vorgebracht, dass der vorhandene Einzelhandelsbetrieb mit ihrem modernen Marktkonzept nicht mehr übereinstimmt und auf Dauer nicht mehr wirtschaftlich sei. Der somit vorliegende Abwägungsmangel ist beachtlich, denn er ist auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen. Hätte die Gemeinde in der Abwägung die Auswirkungen der Planung auf dem Grundstück der Antragstellerin vollständig erkannt, hätte sie den Bebauungsplan nicht wie vorliegend beschlossen.

Somit hat sich das Gericht einerseits zu den Festsetzungsmöglichkeiten in einem Sondergebiet nach § 11 Abs. 3 BauNVO und andererseits zur kleinräumigen grundstückbezogenen planerischen Festsetzung einer einzigen (bestehenden) Nutzung geäußert. Für die Festsetzung nicht großflächiger Einzelhandelsbetriebe stehen in den Baugebieten nach §§ 2 bis 10 BauNVO beispielsweise Gewerbegebiete als Baugebietstyp zur Verfügung. Mit weiteren Einschränkungen auf der Grundlage von § 1 Abs. 1 bis 10 BauNVO stehen den Gemeinden weitreichende Steuerungsmöglichkeiten zur Verfügung, um beispielsweise der Nahversorgung dienende Einzelhandelsbetriebe planerisch zu sichern und eine Erweiterung über die Schwelle zur Großflächigkeit hinaus auszuschließen. Einer Anwendung von § 11 BauNVO bedarf es hierbei nicht; eine entsprechende Festsetzung kann hier nicht zur Anwendung kommen. Zudem ist bei der Überplanung bestehender Betriebe und durch die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten eines Grundstücks dem Eigentumsrecht in hervorgehobener Weise Sorge zu tragen. Zwar kann bei dem in der Praxis üblichen Ausschluss zentrenrelevanter Sortimente bestehender Einzelhandelsbetriebe zumeist davon ausgegangen werden, dass die wirtschaftliche Nutzung nicht unangemessen beeinträchtigt wird, da auch weitere Nutzungen weiterhin zulässig sind. Wenn – wie im vorliegenden Fall – jedoch nur eine einzige Nutzungsmöglichkeit verbleibt, so ist der Eingriff in das Eigentumsgrundrecht sehr weitreichend und die Wirksamkeit der Festsetzung aufgrund möglicher Abwägungsfehler zu hinterfragen.


Urteil:

OVG NRW, Urteil vom 05.12.2017 -10 D 84/15.NE -, ECLI:DE:OVGNRW:2017:1205.10D84.15NE.00