Wahrung der allgemeinen Zweckbestimmung eines Allgemeinen Wohngebiets

§ Kommentar


Wahrung der allgemeinen Zweckbestimmung eines Allgemeinen Wohngebiets

Zu BVerwG, Urteil vom 07.09.2017 – BVerwG 4 C 8.16 -.

28. November 2017

 

Wahrt der Ausschluss der gemäß § 4 BauNVO in einem Allgemeinen Wohngebiet allgemein und ausnahmsweise zulässigen Nutzungen den Nutzungszweck, wenn ausschließlich Wohngebäude und Betriebe des Beherbergungsgewerbes allgemein zulässig sind bzw. als allgemein zulässig festgesetzt werden?

Setzt eine Gemeinde ein in § 1 Abs. 2 BauNVO bezeichnetes Baugebiet im Bebauungsplan fest, so werden die Vorschriften der BauNVO für dieses Baugebiet verbindlich, sofern die Gemeinde nicht etwas anderes bestimmt. Insbesondere kann auch festgesetzt werden, dass bestimmte Nutzungen, die gemäß der Vorschrift in dem festgesetzten Baugebiet allgemein zulässig sind, nicht oder nur ausnahmsweise zulässig sind (§ 1 Abs. 5 BauNVO). Weiterhin kann auch festgesetzt werden, dass bestimmte Nutzungen, die gemäß der Vorschrift in dem festgesetzten Baugebiet ausnahmsweise zulässig sind, nicht oder allgemein zulässig sind (§ 1 Abs. 6 BauNVO). Es muss bei Anwendung beider Vorschriften allerdings die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt bleiben.

Im vorliegenden Fall wurde um die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Bauvorhabens der Klägerin gestritten. Diese erhielt eine Baugenehmigung zur Umnutzung einer Eisdiele in einen Kebab-Imbiss. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes, der als Art der Nutzung ein Allgemeines Wohngebiet festsetzt. Ausgeschlossen sind die nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BauNVO 1977 allgemein zulässigen und auch die nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 bis 6 BauNVO 1977 ausnahmsweise zulässigen Nutzungen. Hingegen sind die nach § 4 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO 1977 ausnahmsweise zulässigen Betriebe des Beherbergungsgewerbes allgemein zugelassen.

Die Vorschrift § 4 BauNVO im Einzelnen:

„(1) Allgemeine Wohngebiete dienen vorwiegend dem Wohnen.

(2) Zulässig sind

1. Wohngebäude,

2. die der Versorgung des Gebiets dienenden Läden, Schank- und Speisewirtschaften sowie nicht störenden Handwerksbetriebe,

3. Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke.

(3) Ausnahmsweise können zugelassen werden

1. Betriebe des Beherbergungsgewerbes,

2. sonstige nicht störende Gewerbebetriebe,

3. Anlagen für Verwaltungen,

4. Gartenbaubetriebe,

5. Tankstellen.“

Hinweis: In der BauNVO 1977 sind im Unterscheid zur BauNVO 1990 Anlagen für sportliche Zwecke nicht in § 4 Abs. 2 Nr. 3, sondern in Abs. 3 Nr. 3 aufgeführt und somit im Sinne der Vorschrift lediglich ausnahmsweise zulässig. Zudem sind in der BauNVO 1977 gemäß § 4 Abs. 4 „Ställe für Kleintierhaltung als Zubehör zu Kleinsiedlungen und landwirtschaftlichen Nebenerwerbsstellen“ ausnahmsweise zulässig.

Der Revision vorausgegangen war ein Urteil des VGH Baden-Württemberg. Dieses beurteilte einen gegen die bereits erteilte Baugenehmigung ausgestellten Widerspruchsbescheid als rechtmäßig, befand jedoch auch den vorliegenden Bebauungsplan für wirksam. Das BVerwG sah dies hingegen anders. In der Urteilsbegründung des BVerwG heißt es, in einem Allgemeinen Wohngebiet sind gemäß § 4 BauNVO  Wohngebäude zulässig. Diese müssen im Gebiet zahlenmäßig überwiegen und den Wohncharakter des Gebiets auch unter Berücksichtigung der anderen zulässigen Anlagen erkennbar prägen. Die in § 4 Abs. 3 aufgeführten Nutzungen sind hingegen nicht Ausdruck der Zweckbestimmung eines Allgemeinen Wohngebietes. Mit dem im Bebauungsplan vorgenommenen Ausschluss der nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BauNVO 1977 zulässigen Nutzungen ist gemäß der Urteilsbegründung somit die allgemeine Zweckbestimmung eines Allgemeinen Wohngebietes nicht mehr gegeben. Es handelt sich bei den gegenständlichen Festsetzungen vielmehr um solche, die rechtlich ein reines Baugebiet im Sinne § 3 BauNVO beschreiben. Die unwirksame Gebietsfestsetzung führt schließlich zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans. Das angeführte Bauvorhaben ist somit nach § 34 BauGB und nicht mehr nach den Festsetzungen des unwirksamen Bebauungsplans zu beurteilen.

Der Plangeber ist mit dem Ausschluss der in § 4 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BauNVO aufgeführten Nutzungen also zu weit gegangen. Von der rechtmäßigen Festsetzung eines Allgemeinen Wohngebiet kann somit nicht mehr ausgegangen werden. Dass Betriebe des Beherbergungsgewerbes entgegen der Vorschrift der BauNVO im festgesetzten Baugebiet nicht nur ausnahmsweise, sondern allgemein zulässig sein sollen, hat hierauf keinen Einfluss, da diese Nutzung den Wohncharakter des Gebietstyps nicht erkennbar prägt.


Urteil:

BVerwG, Urteil vom 07.09.2017 – BVerwG 4 C 8.16 -, ECLI:DE:BVerwG:2017:070917U4C8.16.0.

Gesetzliche Grundlagen:

Baunutzungsverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 1990 (BGBl. I S. 132), die zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 4. Mai 2017 (BGBl. I S. 1057) geändert worden ist.

Baunutzungsverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 15.September 1977 (BGBl. I S. 1763).